Die erste Wohnsiedlung des Bornstedter Feldes

In direkter Nachbarschaft zur Kolonie Alexandrowka und auf dem Areal des Bornstedter Feldes entstand in den 1920er Jahren eine Wohnsiedlung nach neuen Idealen und mit Reformbestrebungen. Sie zeichnet weitläufige Grünflächen ebenso aus, wie ein modernes Kooperationskonzept zwischen Genossenschaft und preußischem Staat.
Mitinitiator der Siedlung „Am Schragen” war Georg Fritsch, der von 1909 bis 1914 Architektur an der TH Danzig, der TH München, der TH Dresden und wiederum in Danzig studiert hatte. Von 1916 bis 1918 war Fritsch unter Friedrich Lahrs beim Neubau der Kunstakademie Königsberg tätig. Nach bestandener Prüfung zum Regierungsbaumeister, ersten Berufserfahrungen in Königsberg, war er ab 1921 Regierungsbaurat bei der Regierung in Potsdam tätig. In dieser Position war er für Wohnungs- und Siedlungswesen sowie Städtebau zuständig. Innerhalb kürzester Zeit hatte Fritsch Kontakte zu wichtigen Persönlichkeiten und der Baubranche, denn am 16. Dezember 1922 wurde er 1. Vorsitzender des neuen Gemeinnützigen Beamten-Siedlungsvereins „Vaterland“ in Potsdam. In der Genossenschaftssatzung wurde festgehalten: „den Mitgliedernin Kleinsiedlungen gesunde und zweckmäßig eingerichtete Wohnungen mit hinreichendem Gartenland in eigens erbauten oder angekauften Häusern in Potsdam und Umgebung zu verschaffen”.

Innerhalb weniger Monate gelang es, ein Grundstück für eine neue Wohnsiedlung zu finden. Konkret ging es um ein 37.000 m² umfassendes Areal des Bornstedter Feldes. Mit dem Grundstücksdeal war die Auflage verbunden, dass Wohnraum für preußische Staatsbeamte entsteht: konkret 50 % für preußische Staatsbeamte und 50 % für Reichsbeamte und Heeresangehörige. Somit waren Bürger regulärer Erwerbsberufe von den neuen Wohnungen ausgeschlossen. Die neue Siedlung „Am Schragen” entstand von 1923 bis 1926 auf einem L-förmigen Grundstück in den Koordinaten Pappelallee, Am Schragen und Kiepenheuerallee.
Insgesamt entstanden 69 Wohneinheiten. Der erste Bauabschnitt liegt an der Ecke Pappelallee und Am Schrangen, wo nur leicht versetzt voneinander 2-geschossige Wohnhäuser mit leuchtenden Fassaden in Rot, Orange und Beige stehen. In der Mitte erhebt sich das breiteste Gebäude und seitlich davon werden die Gebäude schmaler und stehen stets ein kleines Stück zurückgesetzt, so dass sich eine Staffelung ergibt. Weiteres Gestaltungsmerkmal sind die expressionistischen Fassadendetails, denn die Blitz-, Zacken- oder Sternform kommen an Türen und als Rahmen für Türreliefs vor. Ferner ist der Farbkontrast ein weiteres Merkmal: Beige Fassaden bekamen rote oder grüne Haustüren und rote Fassaden blaue Haustüren. Bekanntester Architekt des farbenfrohen Bauens war Bruno Taut, der bereits 1913 bei der Tuschkastensiedlung das Prinzip der Kontraste als preisgünstige Variante für eine abwechslungsreiche Gestaltung erprobte. Auch für die Erscheinung der Wohnsiedlung Am Schragen haben die bunten Fassaden eine positive Wirkung. Im Vergleich zu den sachlichen Gebäude von Taut wirken die Gebäude in ihrer Formensprache – breite, farblich abgesetzte Rahmen um die Fenster, steil hochgezogene Spitzdächer und ein mehrfach gestuftes Dachgesims – eher altmodisch und konservativ. Typisch für die Zeit sind die Gärten auf der Rückseite, die zur Versorgung und Erholung dienen sollten. Insgesamt besitzen die Häuser eine ländliche Anmutung und den Charakter einer Gartenstadt.

Auch beim zweiten Bauabschnitt setzt sich die Gestaltung der bunten Fassaden fort. Diesmal wurde für die Anordnung der Gebäude aufgrund der Grundstücksform eine andere Gestaltung gewählt. Eine Toreinfahrt begleitet zu beiden Seiten von Wohnhäusern markiert den Zugang. Dahinter bilden sieben Häuser einen Hof, der eine Mittelinsel mit Sitzbänken hat. Die Situation wirkt sehr privat und idyllisch. Somit ist in diesem Bereich noch stärker der Eindruck einer Gartenstadt bzw. ländlichen Siedlung. Es waren jedoch nur wenige Minuten bis zum Jägertor und in die Innenstadt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Wohnungen von russischen Offiziersfamilie sukzessive herunter gewohnt und es ist der politischen Wende zu verdanken, dass die Häuser erhalten blieben und heute in diesem erstklassigen Zustand ein wichtiges Zeugnis Potsdamer Wohnungsbaus ablegen.
Dr. phil. Carsten Schmidt