Aus Alt mach interessant, nachhaltig und modern
Roter Backstein, vier Schornsteine mit Helme und Gebäudekörper wie aneinandergereihte Bauklötze, die Malzfabrik an der heutigen Bessemerstraße 2-14 ist mit ihrer Mischung aus Loft-räumen und Fabrikästhetik eine Ikone im Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Wer mit dem Auto über die A100 durch Tempelhof-Schöneberg fährt, der kann die alte Malzfabrik nicht übersehen. Errichtet nach den Plänen des Architekten Richard Schlüter zwischen 1914 und 1917, war sie in den 1920er Europas größte Malzfabrik.

Wahrzeichen dieses historischen Ensembles, bestehend aus Produktionsgebäude, Kellerei, Pferdestall, Maschinenhalle, Lager, Waggonschuppen und repräsentativen Verwaltungsgebäude sind die vier Schornsteine. Was bei der Entstehung weniger ins Auge fiel als heute, sind ihre Metallhauben, die wie Ritterhelme für Riesen aussehen. Sie waren für die Malzproduktion zwingend erforderlich. Denn diese sogenannten Darrhauben drehten sich mit dem Wind. Sie sind nahezu ständig in Bewegung und bewirkten, dass feuchte Luft nach außen gelangte, damit die gelagerte Gerste zu Grünmalz wurde und in getrockneter Form der Bierproduktion zugeführt werden konnte. Heute regen die Hauben die Fantasie an, denn für Kinder sehen wie kleine Monster oder Geister aus, die aus den Schornsteinen steigen.
Die Malzfabrik hatte einen eigenen Anschluss ans Eisenbahnnetz, um Getreide und Kohle für die Öfen direkt entgegennehmen zu können. Nachdem 1917 die Kessel angeheizt waren, lief die Produktion auf Hochtouren. Mit ihren roten Klinkerfassaden passte die Malzfabrik zum Schultheiß-Imperium. Der monochrome Rotziegellook flirtet mit dem Sonnenlicht und verliert nie seine warme Ästhetik. Es sind die feinen, scharf gezeichneten Linien, die diese Fassaden zum Sprechen bringen. Alles folgt einem vertikalen Konzept, sowohl bei der Produktion als auch bei der Architektur. Schlanke schmale Fenster wirken wie dunkle Streifen auf den roten Flächen. Dezente Rahmen, angedeutete Pfeiler und nahezu unauffällige Bänder übersetzen den eleganten Klassizismus in diese einzigartige Industrie- und Zweckarchitektur. Innen dann pure Industrie mit großen Hallen, gefliesten Räumen für optimale Hygiene und Tageslicht dort, wo es benötigt wurde. Hier wurde im Akkord gearbeitet, mehrere hundert Arbeiter kamen zu den Schichten und alles wurde nach einem hierarchischen System überwacht, kontrolliert und protokolliert.

Schultheiß braute Bier, betrieb eigene Mälzereien, Fassböttchereien sowie Werkstätten und ließ sein Bier in den unternehmenseigenen Gastwirtschaften verkaufen. Darüber hinaus konnten Gastwirte auch zu Schultheiß-Vertragspartnern werden, damit die Marke mehr Bekanntheit erlangte. Und diese Rechnung ging auf, denn am Ende der 1930er Jahren hatte das Unternehmen, welches mittlerweile die Schultheiss-Brauerei AG hieß, immerhin 6.380 Angestellte, elf Brauereien und 85 eigene Ausschankstätten.

Die Fabrik in Tempel-Schöneberg war für das Unternehmen vor dem Hintergrund der extrem großen Nachfrage und schwankenden Malzqualitäten besonders wichtig. Mit der Malzfabrik konnte Schultheiss sogar einen Malzüberschuss produzieren, der an andere Brauereien verkauft wurde. Entstanden im Ersten Weltkrieg und mit nur wenigen Schäden den Zweiten Weltkrieg überstanden, sind die späteren Jahre sehr wechselvoll. Noch vor der Schließung der Produktion, im Jahr 1996, wurde das Gebäudeensemble unter Denkmalschutz gestellt. Für das Industriedenkmal wurde nach Nutzungskonzepten gesucht, was in Berlin der Umbruchsjahre nicht einfach war. Nach vielen Anläufen als Kreativ- und Partystandort stieg 2005 Frank Sippel ein. Es beginnt eine behutsame Sanierung, damit aus der Fabrik ein nachhaltiger und authentischer Standort für Kunst und Kultur wird. Dafür erhielt Frank Sippel 2014 die Ferdinand-von-Quast-Medaille.
Heute sind in der ehemals größten Malzfabrik Europas neue Unternehmen angekommen, die das malerische Gebäudeensemble zu einem attraktiven Standort für Kunst, Kultur und Medien machen. Die neuen Nutzer des denkmalgeschützten Ensembles freuen sich über Gäste und neue Mitstreiter. In der Malzfabrik können Büro- und Atelierräume sowie Ausstellungsflächen und Räume für Feierlichkeiten und TV-Produktionen angemietet werden. Auch Führungen durch die 100-jährige Geschichte der Mälzerei werden angeboten.
Dr. phil. Carsten Schmidt