Märkisches Viertel

Megastruktur im Wandel

Vor genau fünf Jahrzehnten brach die Hochmoderne mit meist 4- bis 12-geschossigen Wohnhausgruppen am nordwestlichen Rand Berlins, genauer im Bezirk Reinickendorf, in die ländlich geprägte Gegend ein. Der Bezirk ging im Jahr 1920 aus sechs Bauerndörfern und drei Gutsbezirken hervor und blickt zurück auf eine über 600 Jahre währende Geschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Reinickendorf zur französischen Schutzmacht. Sie ließ Neubausiedlungen errichten, gab Straßen die Namen französischer Persönlichkeiten und nur hier konnte man Lebensmittel, Literatur und andere Produkte aus Frankreich käuflich erwerben. Zu den wichtigsten Bauprojekten zählte die Cité Foch, das Kino l’Aiglon am Kurt-Schumacher-Damm im International Style und das Französische Gymnasium der Cité Pasteur. Die allgemeine Wohnungsnot im geteilten Berlin stieg in den 1960er Jahren dramatisch an.

Dieser und weitere Gründe führten dazu, dass das städtische Wohnungsunternehmen GESOBAU im Bezirk Reinickendorf auf einem Areal von 385 ha knapp 17.000 Wohnungen für rund 50.000 Menschen planen ließ und bis 1974 einen neuen Stadtteil, das Märkische Viertel, errichtete. Der Stadtteil sollte als beispielhaft, modern und zukunftsweisend gelten. Das durchaus ambitionierte Ziel lautete: Wohnraum für Tausende schaffen und gleichzeitig architektonische Zeichen setzen. Der städtebauliche Entwurf stammte aus der Feder von Werner Düttmann, seinerzeit Berlins Senatsbaudirektor, und den freischaffenden Architekten Georg Heinrichs und Hans Christian Müller. Mehr als 35 in- und ausländische Architekten erdachten ab 1962 die raumbildenden Großkörper aus Beton – neben der Gropiusstadt die größte Neubausiedlung im damaligen West-Berlin und mit 35.000 Bewohnern (Zielwert: 60.000) das größte bundesdeutsche Wohnprojekt. Nirgendwo anders als in Reinickendorf wurde der Versorgungsauftrag des Berliner Senats, bezahlbaren Wohnraum für die Bevölkerung zu schaffen, so deutlich.

Wie auch die prestigeträchtigen Kompositionen aus niedrigen Reihenhäusern, mehrgeschossigen Zeilenbauten und Punkthochhäusern im Berliner Hansaviertel erlangte das Märkische Viertel mit seinen Hochausgruppen von national und international anerkannten Architekten Weltaufmerksamkeit. Noch heute ist das Märkische Viertel ein beliebtes Ausflugsziel von internationalen Besuchergruppen.

Neben der stadtbaukünstlerischen Qualität ist die Großsiedlung ein vorbildliches Beispiel für energetische Modernisierung: So modernisiert die GESOBAU zwischen 2008 und 2015 das Märkische Viertel umfassend und rüstet es für energetische wie demographische Herausforderungen der Zukunft. Bis 2015 erfolgt die sukzessive Komplettmodernisierung des Viertels bei einer Investition von rund 550 Millionen Euro in Wärmedämmung und moderne Standards von 13.000 Wohnungen.

Fünf Jahre nach Modernisierungsbeginn zieht das kommunale Wohnungsunternehmen positive Bilanz: Gemessen an den Verbräuchen von 2007 konnten bis Ende 2012 im Märkischen Viertel insgesamt 49.581t CO2-Emis-sionen eingespart werden, die warmen Betriebskosten für die Mieter halbierten sich und die modernisierten Wohnungen werden stark nachgefragt.

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