Kindl Brauerei

Der Goldene Junge und der Geist des Bieres

Die Kindl Braurei: Ein Start-up des 19. Jahrhundert in Berlin-Neukölln

Dem Forscher- und Entdeckergeist des 19. Jahrhunderts ist es zu verdanken, das Gastwirte, ein Kaufmann und zwei Bankdirektoren in Rixdorf, dem ältesten Ortsteil von Neukölln, im Jahr 1872 untergäriges Bier herstellen wollten. Ihr größtes Problem war die Kühlung, denn es erfordert eine Umgebungstemperatur von 4 bis 9 °C. Der erste Bierausstoß erfolgte ein Jahr später, die Brauerei experimentierte mit unterschiedlichen Gewürzmischungen und im Jahr 1907 erblickte der Goldene Junge das Licht der Welt und ist seither das Markenzeichen. In den 1920er Jahren produzierte Kindl bis zu 1,1 Mio. Hektoliter pro Jahr.

Architekturbüros Claus und Schepke

Auf dem Gründergelände in Berlin Neukölln, an der Werbellinstraße 50, wurde im Jahr 1927 ein architektonisches Neubauprogramm gestartet. In den kommenden Jahren entstanden nach den Plänen des Berliner Architekturbüros Claus und Schepke ein Wohlfahrtsgebäude und neue Brauereigebäude. Nachweislich führten Hans Claus und Ernst Richard Schepke ihr Büro von 1926 bis 1931. In dieser Zeit entstanden an zwei weiteren Kindl-Standorten Betriebs- und Verwaltungsgebäude – in Alt-Hohenschönhausen und Potsdam – sowie das Gemeindehaus in der Schottstraße in Lichtenberg. Und im Jahr 1931 baute Hans Claus sein eigenes Wohnhaus in der Max-Eyth-Straße in Berlin-Dahlem.

Moderne und Tradition

Zurück auf das Betriebsgelände im Rollbergkiez. Acht Jahrzehnte nach ihrer Errichtung atmen die dunkelroten Klinkergebäude noch immer den Geist der Weimarer Republik: Moderne und Tradition vereint in einem Gebäude um die gigantische Produktionstechnik zu inszenieren und zu verhüllen. Diese Widersprüche gilt es zu verstehen, denn nur so lässt sich die Bedeutung des Denkmals evaluieren. Dem Standort wurde durch Abriss und Neubau von 1927 bis 1931 ein modernes Erscheinungsbild gegeben. Aus vormals kleinen Einzelbauten wurde ein ausdrucksstarkes Ensemble. Unterschiedlich große Kuben, die ineinander gesteckt sind – von links nach rechts liegen das Kesselhaus mit Pumpenraum und Speicherschornstein, das neue Sudhaus und der Gärkeller – ergeben eine Architekturcollage. Hochrechteckige schmale Fenster, ein schlanker Turm, zwei über Eck gestellte Spitzbogenöffnungen und die liegenden Gebäudekörper geben dem Gebäudekomplex einen expressionistischen Ausdruck. Sowohl die sachliche Architektursprache der einzelnen Gebäude als auch das einheitliche Fassadenmaterial –Bockhorner Klinker –homogenisieren die unterschiedlichen Kubaturen. Die Assoziation an eine Kirche ist augenfällig, es befinden sich jedoch Wasserreservoir, Malzsilo und Schrotmühle in dem 37,5 Meter hohen Turm. Die reiche Verwendung von Stahl als Abfangkonstruktion, Stützen und Züge wurde in einem Aufsatz von 1931 besonders gewürdigt. Nur mit Stahl war es möglich, weitgespannte und stark belastete Tragkonstruktionen zu realisieren. Mit unterschiedlichen Tricks sorgten die Architekten für die Wirkung, als hätten die Gebäude Flachdächer.

Von Außen sollte das neue Fabrikgebäude durchaus modern und fortschrittlich wirken – im Inneren standen Hygiene, Effizienz und Qualität im Mittelpunkt der Produktion. In der großen Sudhalle fand der wichtigste Vorgang statt. Daher wurde eine aufwendige und hochwertige Gestaltung umgesetzt. Die Architekten und Bauherren entschieden sich für Marmorwände, Böden in Glasmosaik und Fenster in Bronzefarben. Dieser Ausstattungsluxus war äußerst innovativ und vergleichbar mit den heutigen Markeninszenierungen in Form von gläsernen Produktionsanlagen. Kindl legte keinen Wert darauf, dass die einzelnen Produktionsschritte an der Fassade oder den Gebäudeformen ablesbar sind. Vielmehr ließen sie den Produktionsprozess verhüllen und die Architektur wurde zum Hüter des Erfolgsrezeptes. Die gewählte Architektursprache war auch eine Inszenierung der wirtschaftlichen Stärke und bezeugte den Glaube in diesen Produktionsstandort.

Das Gebäudeensemble besitzt sowohl von außen wie im Inneren einen monumentalen Ausdruck und verlangt vom Betrachter Respekt gegenüber der Technik und der Architektur. Eine ähnlich spektakuläre Wirkung besitzen die Mälzerei und das Verwaltungsgebäude in Alt-Hohenschönhausen. Sie wurden als Stahlskelettkonstruktion errichtet und das signifikante Wahrzeichen ist der 33 Meter hohe Siloturm. Auch hier vertrauten die Architekten auf die Wirkung von rotbunten Klinker. Mit beiden Gebäuden setzte sich Kindl von den Brauerei-Gebäuden des Historismus ab.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte bis 153 der Wiederaufbau der Kindl-Brauerei im Rollbergkiez. Der heutige Zustand des Sudhauses entspricht nicht dem Original. Im Jahr 2005 wurde der Standort abgewickelt und Kindl zog nach Weißensee. In den vergangenen Jahren erprobte man unterschiedliche Nutzungskonzepte und Investoren entdeckten das Gelände. Ein Ausflug lohnt sich!

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