100 Jahre Gartenglück und Idylle
Zwischen Prinzenviertel und Rummelsburger Landstraße sollte nach den Plänen des Architekten Peter Behrens, der vor allem für die AEG in Berlin als Architekt und Gestalter tätig war, eine Wohnsiedlung mit unterschiedlichen Haustypen entstehen. Das circa 15 ha umfassende Areal liegt idyllisch und ruhig und die ersten Pläne dazu wurden 1914 erarbeitet. Die Errichtung der Häuser begann im Frühjahr 1919. In der ersten Bauphase wurden 117 Wohnungen gebaut: Es entstanden Reihenhäuser vom Typ I, II, III und V, Vierfamilienhäuser und zwei Läden. Zu jeder Wohneinheit gehört ein Garten mit 100 bis 300 Quadratmeter „[…] und ein Stall für die Haltung von Kleinvieh, so daß hier die Sehnsucht des Großstädters nach einem Stück eigenen Bodens einmal ausnahmslos in Erfüllung gelangt“, so Wasmuths Monatshefte im Jahr 1920.

Erwähnenswert in der damaligen Zeit war, dass Keller und Fundament aus Kalksteinbruch sind, darüber Ziegelmauerwerk. Die Außenwände bekamen eine 6 cm Luftschicht als Isolierung. Die Raumhöhe war mit 2,50 m eher niedrig. Ebenfalls gespart wurde bei den Decken im Erdgeschoss, denn hier blieben die Deckenbalken sichtbar. Entgegen der Ankündigung von 1920, dass die restlichen 383 Wohneinheiten schnellstmöglich errichtet werden sollen, zögerte sich die Umsetzung bis 1937 hinaus – es entstanden Doppelhaushälften, die gestalterisch nichts mit den Planungen von Peter Behrens zu tun hatten.
Was zeichnete die Wohnhäuser von Behrens aus? Im Gesamtplan wird deutlich, dass die Straßen und Gehwege der Waldsiedlung möglichst wenig Platz einnehmen und dafür der Fokus auf den Gärten liegt. Die Reihenhäuser haben zur Gartenseite eine Terrasse mit Pergola als Sonnenschutz und Zugang zum Garten. Je nach Haustyp hatten die Bewohner eine unterschiedliche Ausstattung: Der Haustyp I war die kleinste Variante. Eine gewisse Großzügigkeit besitzen Haustyp III und V, denn im Erdgeschoss gibt es ein Gäste-WC und im Obergeschoss das Familienbadezimmer mit Fenster. Bei den Vierfamilienhäusern gab es lediglich im Erdgeschoss Terrassen und die Wohneinheiten gingen über zwei Etagen, was für größtmögliche Privatheit sorgte. Ebenfalls attraktiv waren die großen Wohnküchen mit Zugang zur Terrasse. Die Ausstattung ist als durchaus komfortabel zu bewerten, denn alle Wohneinheiten verfügen über elektrisches Licht, Wasserleitungen, Bäder, Innentoiletten und Gasanschlüsse für Kochzwecke.
Die zweigeschossigen Häuser bekamen farbigen Sichtputz in Ocker, Hellgrau und Terrakotta sowie grüne und blaue Fensterläden und Haustüren. Drei stilistische Besonderheiten lassen sich erkennen: Das leicht expressionistische horizontale Gesimsband zwischen Erdgeschoss und Obergeschoss, das über dem Hauseingang mehrmals verspringt. Ebenfalls ungewöhnlich ist bei einigen Häusern, dass das Obergeschoss über das Erdgeschoss ragt und somit stark an englische Vorbilder erinnert. Und für die Gesamtanlage ist ebenfalls auffällig, dass die Reihenhäuser gruppenweise verspringen und somit ein mäandernder Verlauf für abwechslungsreiche Perspektiven sorgt. Mit viel Einfallsreichtum schuf Peter Behrens eine ländliche Idylle, die Bezug nimmt zur Gartenstadtbewegung. Er schafft ein Spannungsverhältnis zwischen offenen und geschlossenen Wandflächen, unterschiedlichen Fensterformen und schönen Details.

Die nach den Plänen von Peter Behrens errichteten Häuser entlang dem Drosselstieg, Gleyeweg, Fuchsbau und Hegemeisterweg stehen heute unter Denkmalschutz. Ursprünglich war für die Waldsiedlung auch ein Sportplatz, eine Schule und Apotheke geplant, damit die Bewohner alles im unmittelbaren Wohnumfeld haben. Auch ohne diese Erweiterungen boten die Neubauten in der Nachkriegszeit einen hohen Wohnkomfort in ruhiger Lage und mit eigenem Garten. Architektonisch wirkungsvoll komponierte Peter Behrens ein Zuhause für Familien. Auch 100 Jahre später sind die Häuser beliebt und bestätigen, dass gutes Wohnen zeitlos ist.
Dr. Carsten Schmidt