Apartmenthäuser der 1920er Jahre
Hans Scharoun ist wie kaum ein anderer Architekt der Weimarer Republik mit dem Berliner Wohnungsbau verbunden. Immerhin stammt von ihm die Siedlung Siemensstadt, die weltweit Bekanntheit erlangte. Neben großen Projekten – nach dem Zweiten Weltkrieg die Berliner Staatsbibliothek und die Philharmonie, waren für Scharoun auch die kleinen Projekte im städtischen Kontext wichtig, denn ob in der Innenstadt oder am Stadtrand, es galt den Wohnungsbau zu reformieren.
Im heutigen Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf konnte Scharoun an drei Stellen seine Vorstellungen vom Wohnen für Singles verwirklichen: am Kaiserdamm, am Hohenzollerndamm und am Flinsberger Platz. Das dreigeschossige Gebäude am Flinsberger Platz brannte 1944 aus und wurde 1963 ausgebaut – jedoch nicht von Hans Scharoun. Daneben gab es weitere nicht realisierte Entwürfe, wie für den Block zwischen Eisenzahnstraße und Albrecht-Achilles-Straße.

Das so genannte „Junggesellenhaus“ am Kaiserdamm von 1928/1929 war für Herren und Damen sowie das berufstätige Ehepaar, wie es damals hieß. Es sollten Wohnungen mit einem besonderen Komfort entstehen – mit Telefon, Fahrstuhl, Badezimmer und Garage. In einer Beschreibung aus der Bauwelt von 1932 heißt es: „Im Dachgeschoss sind Ateliers (teilweise mit Dachgärten) und Zusatzräumen für die Wohnungen enthalten. Der Hof ist für die Garagen unterkellert“. Es war ein Gegenentwurf zum repräsentativen Altbau, denn Klein- und Mittelwohnungen galten als Ideal der Modernen Bewegung – mit Räumen die Licht, Luft und Sonne garantierten sowie in bester Wohnlage gelegen. Architektonisch war Scharouns Gebäude ein Bruch mit der umliegenden Bebauung. Das U-förmige Gebäude besteht aus einer kurzen Fassade zum Kaiserdamm, dem Langbau zur Königin-Elisabeth-Straße und einem kurzen Abschluss in der Fredericiastraße. Das so genannte „Junggesellenhaus“ am Kaiserdamm war ein Gegenentwurf zum repräsentativen Altbau.
Die kurze Fassade zum Kaiserdamm ist die Hauptfassade, denn hier zeigt Scharoun, mit vertikalen und horizontalen Elementen, seine Vorliebe für die Kunst und durchaus dramatische Effekte. Der Neubau schließt bündig an den Altbau an und sogar der erste Dachabschnitt hat die gleiche Form. Jedoch dann kommt die Zäsur, denn Scharoun zieht eine breite Wandscheibe bis kurz über die Spitze des Dachs. Im oberen Drittel setzt er einen schmalen vertikalen Steg vor die Fassade. Dieser teilt weiter unten die ersten beiden Fensterpaare. Und einen weiteren breiteren Steg führt der Architekt parallel bis unter die Dachrinne und dann horizontal weiter. Dies ist der dramatische Auftakt, denn der Architekt sieht die Gebäudekonturen wie ein abstraktes Gemälde. Dies wird besonders deutlich bei der Wandscheibe, denn die große Fläche – welche zur Rückseite bogenförmig abfällt – wurde dunkel gestrichen, damit sich davor die hellen Elemente des gegenüberliegenden Terrassendachs und der tragende Pfeiler gut abheben.
Bei der Hauptfassade setzt Scharoun auf Bullaugenfenster, gegeneinander versetzte kleine Fenster und geschwungene Balkongitter. Gleichzeitig betont er die Gebäudeecke mit einer Rundung und lässt den anschließenden Langbau zurücktreten. Scharoun komponierte zu allen drei Seiten edle weiße Fassaden und es gelang ihm mit wenigen gestalterischen Elementen den modernen Zeitgeist im städtischen Gefüge zu verankern.

Vom Paukenschlag am Kaiserdamm zu den eher leisen Tönen am Hohenzollerndamm. Das L-förmige Wohnhaus entstand 1929/1930. Erneut fällt Scharouns Leidenschaft für die Betonung der Gebäudeecke auf, denn er zieht die halbrunden Balkonabschlüsse weit über die Ecke hinaus. Bei diesem Gebäude konzentrierte sich der Architekt auf die horizontale Gestaltung, denn die dreiteiligen Fenster, Loggien und Balkone haben stets die gleiche Höhe. Somit tritt das moderne Motiv des Fensterbands in den Fokus, denn nur bei den Fenstern über den Eingängen wählte der Architekt eine schlitzartige Form.
Erneut fällt die Gestaltung des Dachs besonders auf, denn zum Hohenzollerndamm zieht der Architekt das Flachdach als Platte – auch als dekorative Linie bezeichnet – über die Fassade hinaus und während es an der rechten Seite einen bogenförmigen Anfang hat, zieht er es bis um die Fassadenecke. Diese feine Bewegung taucht erneut bei den Fenstern auf, wo die seitliche Umrahmung durch eine Kurve bestimmt wird. Ein weiteres interessantes Detail beschrieb Julius Posener 1932: „Der Unterschied zwischen festen und beweglichen Teilen des Fensters wird durch die Farben noch besonders hervorgehoben: die festen Teile sind weiß, die beweglichen dunkelblau gestrichen“. Posener konstatiert: „Jede Einzelheit des Fensters ist hier aufs lebhafteste zur Darstellung gebracht“.

Neben der Bedeutung von Details ging es Scharoun auch immer um die Funktion. So besteht das Gebäude aus zwei parallel hintereinander angeordnete Häuserzeilen, die um ein halbes Geschoss gegeneinander versetzt stehen. Der Lichtschacht zwischen den Gebäuden sorgt für Tageslicht in den unteren Etagen. Die inneren Fassaden wurden mit glasierten weißen Kacheln verkleidet, die das Licht noch besser reflektieren. In den Lichtschacht setzt Scharoun drei ovale Treppenhäuser mit Aufzugskern. Sechs kleine Wohnungen gruppierte der Architekt pro Etage, jedoch durch die Höhenunterschiede der Gebäude entsteht ein Gefühl der Privatheit.
Sowohl im Gebäude am Kaiserdamm als auch am Hohenzollerndamm gab es hauptsächlich kleine Wohnungen, die für Singles oder Paare ohne Kinder gedacht waren. Im Dachgeschoss brachte der Architekt stets Atelierwohnungen unter. Beide Gebäude sind architektonische Juwele der späten 1920er Jahre, die auch 90 Jahre später aktueller sind denn je. Hans Scharoun konnte Im heutigen Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf an drei Stellen seine Vorstellungen vom Wohnen für Singles verwirklichen: am Kaiserdamm, am Hohenzollerndamm und am Flinsberger Platz.
Dr. Carsten Schmidt